Ron Ulrich

Redakteur & Reporter

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Porträt

Peter, gib einen aus!

Peter Fischer ist ein Paradiesvogel. Er trinkt aus dem DFB-Pokal. Er wettert gegen die AfD. Sogar ein Ermittlungsverfahren wurde gegen ihn eingeleitet – und diese Woche wieder eingestellt. Nahaufnahme eines ungewöhnlichen Präsidenten.

Fotos: Ramon Haindl


Bevor Peter Fischer einen Raum betritt, ist seine Stimme schon da. Sie röhrt sich ihren Weg durch die Bürogänge am Frankfurter Riederwald. Dabei spricht Fischer noch sanft. Wenn er laut wird, würde ihn wohl selbst ein Bauarbeiter ermahnen, dass man ja seinen eigenen Schlagbohrer kaum mehr verstehe. Fischer beendet eine Radioschalte zu Bayern 3, schlendert in sein großes Büro, das weiße Hemd unter dem Sakko oben aufgeknöpft, die Schnürsenkel am Turnschuh offen. Er wedelt mit den Händen, sein Zwei-Meter-Körper pendelt von einer Seite zur anderen. Diese Verrückten haben gestern sein Auto abgeschleppt, neun Meter Baustelle abgesperrt, wo nur sieben gebraucht werden. Ein Wahnsinn. Fischer zündet sich eine Zigarette an, lässt sich in seinen braunen Ledersessel fallen, sein rechtes Bein schlägt er über die Armlehne. Den Kopf kippt er zurück, fährt sich kurz durchs Gesicht, Trottoirs in Frankfurt, keine Parkplätze mehr, übrigens Bayern 3, Moderator Otto, guter Mann, die einzigen Roten in Bayern, harte Zeit, wie ja jetzt alle durchdrehen, Weltuntergang hier und da, auch bei der Nationalelf, beim Mats fehlte nach dem Mexiko-Spiel die Selbstkritik. Dann hätte er gesagt: »Junge, alles richtig gemacht, top, ich bin bei dir, alles klar.« Der Zigarettenfilter in seiner großen Hand brennt ab. Abaschen lohnt nicht. Peter Fischer glüht durch.

»Bei Bayern waren viele vor Niko im Rennen. Das wusste er, das wussten wir« 

Seit 18 Jahren ist Fischer Präsident von Eintracht Frankfurt. Wer begreifen will, was für eine Ewigkeit das im Fußballgeschäft darstellt, muss sich erinnern: Damals spielte 1860 München in der Qualifikation zur Champions League. Es wirkt, als wäre seine Amtszeit genau auf dieses Halbjahr 2018 hinausgelaufen. Er hatte Stellung bezogen gegen die AfD. Er hatte Morddrohungen erhalten. Und sein Klub wandelte zwischen emotionalen Extremen. Just im größten Moment war Fischer vor allem eines, am Ende.

Im April schockte Eintracht Frankfurt die Nachricht, dass Trainer Niko Kovac nach der Saison zu den Bayern gehen würde. »Wir kannten den Vorlauf, wie viele da noch vor Niko im Rennen waren. Das wusste er, das wussten wir.« Doch dann, Fischer springt hoch, paff, die Finger zucken nacheinander: Heynckes weg! Flutsch. Tuchel will nicht! Der sagt so… Fischer zeigt den Mittelfinger, dann Brusch und Zack. Als würden ihm Redakteure eines Comichefts soufflieren.

»Ich will heute Nacht verdammt noch mal aus dem Pokal trinken«

Kovac ging zu den Bayern und Frankfurt vor dem Pokalhalbfinale in die Knie. Die Mitarbeiter drängten Fischer in einen Raum, wo er eine zweiminütige Videobotschaft an die Eintracht-Gemeinde richten sollte. Er legte die Handkante auf die Stirn, atmete 20 Sekunden tief ein und aus, und lieferte dann, in einem Take. »Wie oft hat uns die Kurve gerettet? Nürnberg – Gänsehaut. Erste Liga spielen dürfen – Gänsehaut. Nach Berlin – Gänsehaut. Erinnerungen und Bilder, die niemand in meinem Kopf nimmt.« Fischer sprach, wie früher als Werber, mit bildschwangeren Begriffen im Stakkatostil. Es wurde ein Aufputschvideo, das die Stimmung drehte. Die Eintracht zog ins Finale ein. Genau dort sprach, nein, schrie Fischer noch einmal zur Menge: »Ich will heute Nacht verdammt noch mal aus dem Pokal trinken.« Die Fans johlten und stimmten den mittlerweile zum Klassiker mutierten Gesang an: »Peter gibt einen aus.«

Er sollte aus dem Pokal trinken, nicht zu wenig. Doch direkt nach dem Sieg sackte er auf der Auswechselbank in sich zusammen. Wenn er sich daran erinnert, fährt er mit den Fingern über die Arme. »Hier drin, alles weg. Ich wollte die Faust ballen – und konnte es nicht mehr.« Dem Kraftwerk ging der Saft aus. Für einen kurzen Moment, während er das erzählt, passiert es. Vielleicht fünfzehn Sekunden lang, da ist selbst Peter Fischer nachdenklich. 

»Wenn mich einer Funktionär nennt, bringt mich das auf die Palme«

Er klatscht und federt aus dem Sessel. Er muss los, zu Michi und zur Uschi. Ins kroatische Bistro »Caffe Bar Alimentari«, schönen Ramazzotti auf Eis gibt es dort. Fischer trommelt zur Musik auf dem Lenkrad, dann heißt es in den Lokalnachrichten, dass ein Fahrer mit über 200 Stundenkilometern auf der Autobahn geblitzt worden sei. Fischer ballt die Faust.

Er übt sich oft im Halbstarken-Machismo, manchmal kokettiert er, als wäre er selbst die beste Peter-Fischer-Parodie. Mädchen nur unter 30 – der Spruch rutscht ihm so oft am Tag heraus, dass er nicht mehr rausrutscht. Früher posierte er mit den Inselschönheiten auf Ibiza, einmal tauchten Fotos einer privaten Feier auf, bei der auch ein Hells Angel zu Gast war. Er bediente bereitwillig alle Prahlerklischees. Hallodri, Lebemann, so könnten es Leute sagen, die es gut mit ihm meinen. Prolet, Populist, drücken es Kritiker hinter vorgehaltener Hand aus.

»Wenn mich einer Funktionär nennt, bringt mich das schon auf die Palme«

Vor einigen Jahren harrten die Frankfurter Fans nach einem Europapokalspiel am Flughafen in Aserbaidschan aus, da legte Fischer kurzerhand 250 Euro für eine Runde Cognac für alle auf den Tisch. Auch wenn er sich selbst dabei nichts gedacht hatte, nur wenig nährt den Populismusverdacht so sehr wie Freisuff fürs Volk. »Er braucht mehr Distanz, es kann nicht sein, dass er mit den Hools zusammen trinkt«, sagt ein langjähriger Beobachter der Eintracht. Ein anderer, nämlich Heribert Bruchhagen, arbeitete als Vorstandsvorsitzender jahrelang mit Fischer zusammen, er sagt: »Wir sind bis heute eng befreundet, auch wenn die tägliche Zusammenarbeit nicht immer reibungslos verlief. Ich war mit den Fakten konfrontiert, Peter kam mehr über die Emotionen.«

Fischer wird auch in der Frankfurter Presse vorgeworfen, den organisierten Fans nach dem Mund zu reden. »Die Eintracht in der Hand der Ultras«, schrieb die »FAZ«. Der Vorwurf, Fans seien Fischers Stimmvieh, ist nicht neu. Aber er greift zu kurz. Fischers Vorteil als Präsident ist, nicht als Präsident zu gelten. Er hat sich vom Amt entkoppelt. »Funktionär, Funktionär. FUNKTIONÄR. Wenn mich einer so nennt, bringt mich das schon auf die Palme«, sagt er. Die Fans sehen in ihm nicht den Würdenträger, sondern einen von ihnen. Peter statt Herr Fischer. Er fährt nordkoreanische Wahlergebnisse ein, 99 Prozent zuletzt.

Die Popularität gründet nicht auf Freicognac am Flughafen oder Fotos im Milieu, sie hängt mit der Stadt, aber auch mit dem Verein zusammen. Frankfurt ist Banken und Bahnhofsviertel, hedonistisch, exzessiv, laut, liebevoll oder so Straße, wie sich Nachwuchsrapper anderswo gerne gerieren. Die Eintracht oszilliert schon immer entlang der Amplituden der Emotionalität, überdreht, charmant-rabiat, mal das eine, mal das andere überbetont. Rasend, flirrend, eine Diva mit zu kräftig poliertem Goldschmuck, gezockt oder auf Pump bezahlt. Wohl in keiner anderen Stadt oder keinem anderen Verein würde Fischer so funktionieren, wie er ist. Peter, gib’ einen aus! Eigentlich ist er zu laut, zu exzentrisch für die Bundesliga von heute. Was bei Fischer viel mit früher, mit seiner Kindheit in der hessischen Provinz zu tun hat. »Eine weniger coole Zeit, braucht keiner.« Fischer schlürft den Ramazzotti auf Eis, beim Michi in der Sonne, zieht einen Fünfziger zum Zahlen aus der Hosentasche, inhaliert eine geschnorrte Zigarette und streicht übers Hemd.

Als Kind hört er von »Arschlöchern, die bei der SS waren«

Nein, erzählen will er es nicht so ausführlich, er schaut kurz weg. »Ich will schon gar keine Mitleidsnummer daraus stricken.« Nach mehrmaligen Nachfragen beginnt er doch. Fischer wurde 1956 im mittelhessischen Lich geboren, sein Vater starb bei einem Autounfall, als er acht Jahre alt war. Die Mutter kam mit einem neuen Mann zusammen, mit dem Fischer überhaupt nicht klarkam. Sein Bezugspunkt in der Kindheit wurde der Opa mütterlicherseits, ein Hufschmied und SPD-Mitglied. Fischer stellte naive Fragen, auch über die NS-Zeit. Er bekam keine Antworten, zuerst nicht. Dann stieß er auf Zahlen. 50 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg, sechs Millionen Juden hatten die Nazis umgebracht. Im Dorf erzählten sie ihm von den »Arschlöchern, die bei der SS waren« und immer noch um den Marktplatz stolzierten. Sein Lehrer in der Schule fabulierte unverdrossen von »deutschen Soldaten«, »deutschen Grenzen« und dem »Verrat an den Deutschen«. Die Dolchstoßlegende beantworteten die Schüler auf ihre Art. Im Werkunterricht verfehlte ein Stemmeisen den Kopf des Lehrers nur knapp. »Ich war es nicht, ich war es wirklich nicht«, sagt Fischer schelmisch. Mit 14 Jahren flog er von der Schule und haute ab nach Frankfurt, zu einem Nennonkel, den er nur flüchtig kannte. Der vermittelte ihm eine Lehre im Kaufhof auf der Einkaufspassage Zeil. 1970, in der großen Stadt, blühte er auf, besuchte Volkshochschulkurse, Bibliotheken und Jazzkeller. Bei den Studentendemos lief er vorne mit. Fischer war erratisch und allgegenwärtig wie später als Präsident.

Im Kaufhof wurde er Sprecher der Lehrlinge, dann Gesamtjugendvertreter, sprach vor 1000 Leuten. Menschen mitnehmen, das war damals schon sein Antrieb. Sie kämpften gegen die Sechs-Tage-Woche, für geregelte Arbeitszeiten. 18.30 Uhr und keine Minute länger! Der Junge vom Dorf wurde ein Kämpfer für Arbeitnehmerrechte – und konnte es nur mit einem Familienmitglied teilen.

Fischer vergisst bis heute ständig Zahlen und Daten, aber zwei wird er nie vergessen: 363 und 464. Es sind die Telefonnummern seines Opas. Ein schwarzes Telefon stand im Haus, ein grünliches mit kleiner Drehscheibe in der Schmiede. Fischer erzählte am Hörer in Frankfurt von den Kämpfen der Lehrlinge. Der Opa, Arbeiter und Sozialdemokrat, sprach in Lich: »Gude Bub.« Mehr Lob geht dort nicht.

Wie Fischer den Tsunami erlebte

Am Nachmittag sitzt Fischer in dem großen Atelier des Künstlers Mike Kuhlmann – ein Mann mit langen Haaren, dunkler Brille und zerknittertem blauen Hemd. Die beiden sind seit über 30 Jahren befreundet, seit der Zeit, als Fischer eine Werbeagentur besaß. Wann er was gemacht hat, weiß keiner mehr so genau. Er war Café- und Kneipenbetreiber, Musikproduzent, Boutiquenbesitzer, Werber und was noch alles. An der Wand lehnt ein großes Porträt von Karl Marx, gegenüber ein großes Tattoo-Bild mit Totenkopf und Adlerkopf, daneben »Eintracht Frankfurt für immer«. In lateinischer Schrift darunter: In caelum non datur sinus. Was das bedeuten soll? Kuhlmann und Fischer lachen und sagen: »Im Himmel gibt es keine Titten.« Nach einer Pause die trockene Erklärung: Alles Körperliche vergeht, die Seele bleibt. Und natürlich Eintracht Frankfurt.



Die größte Bedeutung für die beiden hat ein Bild, das gar nicht von Kuhlmann stammt, sondern von einem Kind in Thailand. Darauf ist sehr viel Blau zu sehen, und vereinzelt Menschen mit großen Köpfen und ausgestreckten Händen, mit schwarzer Pinselfarbe fein daneben geschrieben: Nato. Tsunami.

Die Welle reißt alles mit

Am zweiten Weihnachtstag 2004 macht Peter Fischer mit seiner damaligen Frau und dem Kind Urlaub in der thailändischen Stadt Surin. Seine Frau weckt ihn morgens um acht, weil die Lampen und die Zahnputzbecher im Regal wackeln. Fischer beschwichtigt, dass in der Nähe wohl irgendwo gebaut werde. Er weiß nicht, dass dies die Ausläufer des weit entfernten Erdbebens sind. Sie frühstücken und gehen an den Strand. Gegen 10 Uhr merkt Fischer plötzlich, wie das Wasser verschwindet.

Dann sieht er die Welle in der Ferne, sie ist nicht groß, aber ihre Wucht ist zu erahnen. Fischer schreit: Weg, weg! Sie haben Glück, direkt hinter dem Strand ist eine Bucht, über eine Betontreppe von 50 Stufen können sie nach oben laufen. Dort harren sie aus, die Welle kommt, nicht bis zu ihnen nach oben hoch, aber rechts und links von der Bucht trifft sie auf flaches Land, reißt alles mit. Die Wasserfontäne spritzt dutzende Meter hoch. Autos, Häuserdächer schwemmen daher wie Streichhölzer, der Strom fällt aus, Jet-Skis vom Strand krachen in die Gebäude, die mitgerissenen Schiffe zerbersten an Land. Dann zieht sich das Wasser wieder zurück und reißt alles in die andere Richtung mit. Auf dem Wasser schwimmen Leichen. Nach drei Minuten ist es vorbei, Vögel zwitschern in die Stille, Kokosnüsse fallen vom Baum, kein Wind geht.

»Die Kinder haben alle Familienmitglieder verloren, nicht wir«

Fischer hat damals sofort geholfen. Am folgenden Tag rief er Kuhlmann an, der sich in den nächsten Flieger setzte. Die beiden unterstützten den Bau von staatlichen Schulen, sammelten Geld für die Infrastruktur und die Ausstattung. Sie setzen sich mit den Kindern an den Tisch und ließen sie Bilder von ihren Erlebnissen malen. Traumabewältigung.

Am Ende wurde es das längste Kinderbild der Welt, 200 Meter lang. Kuhlmann und Fischer erzählen emotional, aber nicht von sich selbst. »Um uns geht es nicht. Die Kinder haben alle Familienmitglieder verloren, nicht wir.«

»Sie haben nicht gewählt, dass sechs Millionen Juden vergast werden«

Durch die gemeinsame Hilfe für die Tsunami-Opfer wissen viele Einwohner in Frankfurt von der Freundschaft zwischen Fischer und Kuhlmann. Der Künstler erhielt deswegen im Januar eine E-Mail mit dem Betreff »Fischer«. Darin standen Sätze wie: Du bist der Scheiß-Fischerfreund. Wenn er mal wieder zu dir kommt, werden wir euch beobachten, werden euch jagen. Mal sehen, ob er dann noch so eine große Schnauze hat.  

Im Winter hatte sich Fischer mit der AfD angelegt. Es ging um die Frage: Können Mitglieder der AfD auch Mitglieder der Eintracht sein? Fischer sagte öffentlich und klar: Nein. AfD-Funktionäre zeigten ihn an. Im Landtag wurden Sitzungen wegen Fischer anberaumt, das heute-Journal befragte ihn. Eintracht Frankfurt wurde Kaleidoskop eines Landes, das sich nach der Bundestagswahl erstmals damit beschäftigte, wie es mit einer rechtspopulistischen, aber demokratisch gewählten Partei im Parlament umgehen sollte.

»Sie haben nicht gewählt, dass sechs Millionen Juden vergast werden«

Und die seriösen Nachrichtensender befragten ausgerechnet den Paradiesvogel. Fischer antwortete auf seine brachiale Art. Er tritt Türen ein, bevor er nach dem Schlüssel sucht. Selbst wenn er vor der richtigen Tür steht. Zunächst erweckten seine Interviews den Anschein, Eintracht Frankfurt würde AfD-Wähler ausschließen – was der Klub gar nicht kann. Doch Fischers Gegner konnten von »Gesinnungspolizei« erzählen. Und: Er sprach von »brauner Brut«. Das ist der einzige Part, den auch sein Freund Kuhlmann kritisch sieht.

Fischer sagt: »13 Prozent haben im letzten Jahr Rechte und Rechtspopulisten gewählt.« Ihm wurde oft vorgeworfen, alle Wähler und Funktionäre mit Nazis gleichzusetzen. Fischer antwortet mit den Zahlen, die er als Kind in Lich gehört hatte. »1930 haben 18 Prozent die NSDAP gewählt. Sie haben nicht gewählt, dass sechs Millionen Juden vergast werden. Nicht, dass es 50 Millionen Tote gibt. Nicht, dass Kinder in Euthanasieverfahren getötet werden. Aber sie haben mit ihrer Wahl den Weg dafür frei gemacht.«

»Einen Vogelschiss. EINEN VOGELSCHISS!«

Er wird laut, trommelt auf den Tisch, wirft die Hände hoch, als würde er im Wahlkampf reden. »In unserer Satzung steht: Wir sind gegen Ausgrenzung, gegen Menschenverachtung, für Internationalität und Überreligiosität. Die Satzung ist das Gesetz des Vereins.« Pause. »Wenn du das liest, wenn du es laut vorliest, dann musst du dagegen halten, was die Verantwortlichen dieser Partei sagen. Wie sie von ,Tausend Jahren Deutschland‘ reden. Wie sie das Dritte Reich einen ,Vogelschiss‘ der Geschichte nennen. Einen Vogelschiss. EINEN VOGELSCHISS. SECHS MILLIONEN JUDEN UMGEBRACHT! 50 MILLIONEN TOTE! Ein Vogelschiss.« Pause. »Deswegen sage ich: Prüft euch! Wenn ihr die Werte der Eintracht lebt, könnt ihr nicht das Gegenteil wählen. Es ist unvereinbar.«

»Gutes Essen, scheiße teuer«

Peter Fischer ist enttäuscht, dass sich kein Verein seinem Statement anschloss, obwohl es viele Klubs intern unterstützten. Das hängt wohl mit dem Zeitgeist zusammen, in der sich Politikerbausteine wie »ein Stück weit«, »Stand jetzt« oder »zu einem gewissen Grade« in der Alltagssprache etabliert haben und jede Meinungsäußerung noch mehr Verständnis bekommt. Wenn Politiker davon sprechen, Menschen zu »entsorgen«, fragen Moderatoren tatsächlich noch mal nett nach, wie das denn gemeint war.

Fischer ist deswegen im heute-journal und anderswo gefragt, weil er nicht nur ein Stück weit überrascht ist. Er spricht über Europa und Frieden. Darüber, wie sich der Sport, mit seiner gesellschaftlichen Bedeutung, einfach versteckt. Fischer erhält in diesen Tagen viele Ehrungen, wird auf der Straße angesprochen, fremde Leute recken ihm die Faust entgegen zum Zeichen, dass er weiter kämpfen solle. Andere fremde Leute schreiben ihm Mails, dass er ein widerlicher Hetzer sei. Dass sie ihn jagen werden. Oder dass er in Auschwitz vergessen wurde.

»Die Leute können mich alles nennen, Arschloch, Penner«

Am Abend fährt er durch das Bankenviertel zu seinem Stammitaliener »Saverios Florian«. Umarmungen, Küsschen für den Presidente. Er genießt das. Fischer ist ein Aufsteiger vom Arbeiterkind und Halbwaisen zu einer einflussreichen Persönlichkeit. Er kostete diesen Weg wie Gerhard Schröder mit Basta-Indifferenz und Lebemannattitüde aus. Aber anders als der Altkanzler klammert er sich fest an seine proletarischen Wurzeln. Als würde er noch heute in der Schmiede seines Opas anrufen.

Er sagt, dass er in einer Mietswohnung lebe, mit seiner brasilianischen Freundin und Bekannten. Für Restaurants hat er das Siegel »Gutes Essen, scheißeteuer«. Fischer hat einen Tsunami überlebt, er hat vor nicht allzu vielen Dingen Angst. Wohl aber große Furcht davor, zum Establishment, zur Elite gezählt zu werden. »Die Leute können mich alles nennen, Arschloch, Penner, keine Ahnung vom Fußball undundund. Aber sie können nicht sagen, dass ich arrogant bin. Das bin ich mit Sicherheit nicht.«

Eintracht Frankfurt für immer

Ein paar Tische weiter stellen sich Anzugträger mit Namen, Funktion und Arbeitgeber einander vor, schieben affektiert Visitenkarten hinterher. Fischer schaut genervt. Er ruft durch den ganzen Laden. »Saverio! Saverio!« Alle Gäste drehen sich um. Ist das der Präsident von der Eintracht? Der Restaurantbesitzer Saverio schraubt gerade am Fernseher, die WM läuft.

Er schaut hoch und Fischer grölt: »Kannste vergessen. Italien bei der WM bekommst du nicht rein. Auf keinem Sender.« Dann lacht Peter Fischer kehlig und geht. Er schlendert durch die Schlucht der Hochhäuser. Der wahrscheinlich einzige Mann im Bankenviertel, der im Sakko ein übergroßes Tattoo-Bild eingestickt hat. Mit Totenkopf, Adlerkopf und der Inschrift: Eintracht Frankfurt für immer.